Flüchtlinge mit teuren Smartphones

Ein Punkt, an dem sich viele gern aufregen:
die Flüchtlinge haben "teure Smartphones"!

Ob sie teuer sind, kann ich nicht beurteilen.
Ich selbst habe kein Smartphone und möchte auch keines.

Ich bin aber heilfroh, dass meine Mündel Smartphones haben.
Als wir uns unterhielten, suchte einer einen Begriff und ich schob ihm hilfreich meinen Laptop hin mit "Google Translate".
Er grinste freundlich und nahm lieber sein Smartphone, denn:
das arabische Alphabet sieht komplett anders aus als unser Alphabet und so kann er mit meiner Tastatur im Arabischen herzlich wenig anfangen.
Die Schrift ersetzt sich auch nicht 1:1
Im Flüchtlingscafe hat uns die ewige Präsenz der Smartphones schon oft weiter geholfen (wenn ich an meine Brille gedacht habe).
Als Übersetzer sind die Dinger einfach Klasse.

Und es stimmt, die meisten Flüchtlinge haben ein Smartphone.
Viele standen - auch im Winter - barfuß in Flipflops vor uns, hatten aber ein "teures Smartphone".
Eine von den neuen Helferinnen wunderte sich und so stellte ich ihr einen netten Syrer vor, den ich noch von der Vorwoche kannte.
Er zeigte ihr seine gesamte Familie auf dem Smartphone.
Über dieses Ding hält er mit ihnen Kontakt und darauf sind auch alle Bilder seiner Frau, seiner Kinder, Geschwister, Eltern ... wann und wo er sie wiedersehen wird, steht in den Sternen.
Leider auch ob er sie je wiedersehen wird.
Wenn sein Flüchtlingsstatus anerkannt wird - Asyl kann er knicken, denn er kam auf dem Landweg und da Deutschland komplett von sicheren Drittländern umgeben ist, ist Deutschland für seinen Asylantrag nicht zuständig - hat er 3 Monate Zeit, einen Antrag auf Familienzusammenführung zu stellen.
Dazu braucht er einen Schwung Dokumente ... und seine Familienangehörigen müssen aus Syrien erst mal zur nächsten Deutschen Botschaft kommen, denn in Syrien gibt es keine mehr. Also in die Türkei reisen oder Libyen ...
Und es dauert derzeit gern ein knappes Jahr, bis der Flüchtlingsstatus überhaupt anerkannt wird.

Wo haben die Flüchtlinge die teuren Smartphones her?
Geklaut???
Ok, ich komme noch mal auf die Tastatur zurück.
Merkt Ihr was?
Sehr unwahrscheinlich, dass Flüchtlinge den besorgten Bürgern die Smartphones klauen ...
Da sind die falschen Buchstaben auf den Tasten.

Die meisten Smartphones werden - meiner Erfahrung nach (die muss nicht stimmen) - aus der Heimat mitgebracht und gehütet wie man sein kostbarstes Gut eben hütet. Zu Beginn der Flucht, sehen die meisten Flüchtlinge vermutlich auch ziemlich modern, sauber und gepflegt aus.

Im Flüchtlingscafe machen wir auch immer einen Kleidermarkt und dafür bekommen wir säckeweise Spenden.
Die Spendenbereitschaft der Menschen ist groß.
Ein Problem ist dabei gern, dass sie dabei gern eine "besser als gar nichts"-Einstellung haben, die von den Flüchtlingen nicht unbedingt geteilt wird.
Ein frierender Flüchtling friert evtl. lieber weiter, als dass er seine moderne Kapuzenjacke durch einen geblümten Damen-Anorak eintauscht und evtl. bleibt er auch lieber in seinen gut zu reinigenden Flipflops als dass er eindeutig schon gut abgelatschte Schuhe annimmt.
Insbesondere, da wir keine Strümpfe im Angebot haben.

Ein relativ absurdes Problem, das wir gelegentlich haben ist, dass die Quantität der eingehenden Kleiderspenden uns völlig überfordert. Wir versuchen im Vorfeld mit den Spendern zu klären, was wir für die Flüchtlinge brauchen:

bitte kleine Kleidergrößen - wir haben herzlich wenig Flüchtlinge dabei, die groß und korpulent sind!
bitte hauptsächlich (möglichst moderne) Jacken, Pullis, Jeans und Turnschuhe.
bitte auf keinen Fall Anzüge! Zu gern werden wir säckeweise mit Anzügen frisch Verstorbener überschwemmt - ganz Kleiderschränke voll Anzüge und Hemden, die den Flüchtlingen nicht passen, in denen sie völlig absurd aussähen und die auch nicht wärmen.
Die Situation mit den Kleiderspenden dürfte überall ähnlich aussehen, denn öfter mal liest man dann, dass undankbare Flüchtlinge sich zu gut für die Spenden waren und sie einfach in den Müll geworfen haben!
Ich tippe darauf, dass das eher verzweifelte Ehrenamtliche waren ...

Ah, noch etwas:
Auch der Bedarf an "sexy Frauenmode" ist herzlich gering.
Auch moderne Flüchtlinge tragen in den Erstaufnahmelagern, in denen hauptsächlich junge Männer aus zig Nationen untergebracht sind, ungern bauchfreie Shirts mit Spaghettiträgern.
1. wegen all der fremden jungen Männer
2. ist es hier kälter als in den meisten Heimatsländern der Menschen

Meine Mündel sehen immer aus, wie frisch aus dem Modekatalog entsprungen.
Das liegt daran, dass sie herzlich wenig Sachen haben und viel Zeit in die Pflege dieser Sachen stecken.
So sehe ich den einen Jungen absolut immer im gleichen T-Shirt und es sieht immer aus, wie frisch aus der Wäsche und frisch gebügelt.

Noch Lust, etwas zu lesen?
Dieser Junge ist noch kein Jahr in Deutschland.
Er ist 17 und lernt und lernt und lernt und kommt nach den Sommerferien wieder in die 9. Klasse der Gemeinschaftsschule.
"Wieder", weil er dort seit Mai schon einmal war - das hatten ein paar nette Nachbarn für ihn organisiert.
Zur Überraschung aller, hat er sich so ins Lernen gekniet, dass man ihn nun die 9. Klasse wiederholen lässt, da er absolut Chancen hat, dann im Stoff mit der Klasse mithalten zu können.
Ein Junge, der von seinen Eltern und Geschwistern getrennt in einer Sammelunkterkunft in einem Vierbettzimmer schläft und lernt.
Er ist der einzige Schüler dort - die anderen sind junge Männer, die noch keinen Zugang zu Deutschunterricht oder sonstwas haben, da ihr Flüchtlingsstatus noch nicht geklärt ist.
Wie viel Ruhe er dort zum Lernen oder Schlafen bekommt, weiß ich nicht - aber er schafft es.
Nicht nur, dass er Deutsch unter Hochdruck lernt, nein auch in Englisch hat er nur geringe Vorkenntnisse mitgebracht und muss nun gleich ins Deutsche übersetzen.
Ich breite das so aus, weil: das schafft er!

Und weil man so viel von besorgten Bürgern hört, erwähne ich mal nebenbei die pensionierte Lehrerin, die unermüdlich mit ihm büffelt. Wer sich ehrenamtlich um Flüchtlinge kümmert, lernt sehr viel mehr pensionierte Lehrerinnen kennen (und lieben!), als besorgte Bürger :)

In den Medien wird Til Schweiger als neuer Retter aller Flüchtlinge gefeiert.
Ich sage Euch:
sehr viel bescheidener und sehr viel wirksamer sind all die pensionierten Lehrer, die man bei der Flüchtlingsarbeit so trifft.

Überhaupt:
wer Zeit übrig hat, dem kann ich die Flüchtlingshilfe nur empfehlen.
Sie macht einfach einen Riesenspaß!
Man lernt sooo viele nette Leute kennen - auch Deutsche - und man steht dem Zuzug der Flüchtlinge so viel zuversichtlicher gegenüber!

Und wenn Dich noch mal Fotos von Flüchtlingen mit teuren Handys verwirren, dann denk dran, dass dieses Handy und die Kleidung, die er auf dem Foto am Leib hat, oft absolut alles ist, was der Mensch da noch besitzt.
Und dass das Handy alles ist, was ihn noch mit seiner Familie verbindet, wenn er alleine gereist ist.



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