Tränen am See

Als ich gestern mit meinen Hunden eine Runde um meinen zweit liebsten See drehten, begann es zu regnen, was das mit dem zweitliebsten See erklärt.
Mein Auto stand nämlich gut 4,5 km entfernt und zwar egal ob ich die Runde beenden oder zurückkehren würde. Wann immer ich an dieser Stelle des Sees ankomme, beginnt es zu regnen.
Ok, nein, das ist gelogen.
Aber gestern begann es zu regnen.
Und als ich weiterging, hörte ich eine "mittelalte" Frau weinen, noch bevor ich sie sah.
Sie gehörte zu jener Gattung, die an Sonnenbänke und blondgebleichte Dauerwellen glaubt und hektisch an Zigaretten zieht.
Und weinte.
Mein Magen ballte sich beklommen zusammen, denn natürlich widerstrebt es mir sehr, jemanden allein und im Regen sitzen und weinen zu lassen, aber gleichzeitig war mir klar, dass sie mich ungläubig von oben bis unten mustern und abwinken würde, wenn ich fragte, ob ich ihr helfen könnte.
Vermutlich war ihr Bruder von einer bösen Hexe in ein Reh verwandelt worden.
Oder sie hatte die beiden verzogenen Gören ihres Lebensgefährten im Wald ausgesetzt und hatte nun aber Sorgen ohne sie nach hause zu kommen.
Oder sie musste einem Riesen drei goldene Haare ausreißen.
Oder ein weiterer Traumprinz hatte sich in einen Frosch verwandelt.
Oder schlimmer noch, in einen ganz normalen Mann, der ganz bestimmt anruft.

Egal welches Problem sie da zu Tränen und lauten Schluchzern rührte, war ich doch sehr skeptisch, ob ihr eine hüftgewaltige Frau mit zwei Labbis an der Leine weiterhelfen könnte.
Ein Prinz auf einem edlen Ross käme besser.
Andererseits: zwei Labbis?
Zwei Labbis können einen ziemlich gut aufheitern.
Gerade als ich überlegte, die beiden einfach von der Leine zu lassen, damit die weinende Frau ihr Lebensglück beim Streicheln und der gleichzeitigen Abwehr von 2 klatschnassen Hunden (das war nicht der Regen, das war der See) wiederfände, entdeckte ich, dass sie zwischen den Schluchzern hektisch auf ihrem Handy herumtippte.

Hallelujah!

Es mochte zwar aussehen, als säße sie mutterseelenallein weinend am See, aber das täuschte.
In Wirklichkeit hatte sie eine Art Nabelschnur zur Außenwelt dabei und kommunizierte.

Puh, war ich erleichtert, dass ich mich besten Gewissens aus der Pflicht entlassen fühlen durfte, der armen Frau zur Hilfe eilen zu müssen.
Einige Schritte später, als der Samariter in mir wieder ruhig schlummerte, meldete sich doch aber tatsächlich der kleine Klugscheißer in mir, der der Frau unbedingt und ungefragt mitteilen wollte, dass es übrigens ganz ganz dumm sei, das Handy mitzunehmen, wenn man dem inneren Drang zum "einfach raus" folgt.

Statt der erholsamen Pause beim anstrengenden "auf seinen Anruf warten", erreicht man gaaaaaar nichts und evtl. treiben einen die Bäume noch dazu hochnotpeinliche SMS zu schreiben, die da lauten könnten: "ich vermiese dich so" ...

So, fein ...
Ich bin jetzt wieder vollkommen mit mir im Reinen, denn nun habe ich die "nimm niemals Dein Handy mit in den Wald / an den See" auch unters (Weibs-)Volk gebracht.

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